Wie ich mich sehe

November 2008

Viele in der Gesellschaft, so habe ich das Gefühl, haben die pauschale Vorstellung, das Menschen wie ich, wenn sie Frauenkleidung tragen, dies nur aus rein fetischistischen Gründen tun oder glauben man - aeh Frau - "hätte'se nich' mehr alle. Es fehlt wohl einfach das Verständnis und das Vorstellungsvermögen, das es Menschen gibt, die sich ständig oder zeitweise in derRolle des anderen Geschlechts wohler fühlen.

Für mich kann ich nur sagen, das ich das Tragen der Kleidung nie als Fetisch habe empfinden können und nie empfinde. Denn dann müßte ich beim "Verkleiden" (wie es meine Mutter Anfangs bezeichnet hat ...) und Tragen der Kleidung ja irgendeinen sexuellen Reiz oder eine Befriedigung empfinden. Dem ist aber nicht so. "Es" passiert vielmehr aus einem tiefen, inneren Antrieb heraus, den ich nicht beeinflussen kann. Mir ging und geht es nur darum, eine weibliche Person zu sein und mich so normal wie möglich und ohne Aufsehen in der Öffentlichkeit bewegen zu können.

 

Was bin ich ?

Damit ergibt sich aber die Frage: Bin ich TV oder TS ? Anfangs (Ende 2005) hatte ich mir als Antwort "Klar, Du bist Transvestit" gegeben. Das bin ich nun aber ganz und gar nicht. Wahrscheinlich wollte ich selbst nicht wahr haben, was mit mir los ist. Stelle ich meinen Stand zwischen TV und TS als Uhr dar, ist es jetzt bereits kurz nach "12 Uhr".

Vor etwa eineinhalb Jahren hatte ich "meine Zeit" noch etwa bei zwei bis drei Minuten vor 12 gesehen aber damals schon nicht ausschliessen können, das es weitergeht. Und es ist weitergegangen. Betrachte ich die Zeit seit Ende 2006, so muß ich feststellen, das sich die Zeitabstände immer weiter verkürzt haben und ich immer häufiger Frau bin und sein muß. 

Über die Zeit ist in mir – ich muß schon sagen "endlich" - die Erkenntnis gereift, daß ich die Frage was ich nun bin anders beantworten muß: Ja, ich bin eine Frau, ich bin transsexuell und ich werde, ich muß, auch "den Weg" gehen ...

Anfang 2006, vor dem Outing bei meinen Eltern, brauchte ich von meiner weiblichen Seite nur hin und wieder mal ein paar Stunden oder alle paar Wochen mal einen Tag. Bis vor etwa einem Jahr bin ich mit dem "Hin und Wieder mal" mal ganz gut ausgekommen. Den Rest habe ich mit viel beruflichen Überstunden "erschlagen".

Jetzt vergeht aber keine Woche, in der ich nicht mindestens einen Tag oder das Wochenende als Frau verbringe. Ich bin dann wirklich "da" und "ich selbst". Kann ich dies mal nicht, z. B. weil sich kurzfristig Besuch angekündigt hat, tut es immer richtig weh - ich weiß nicht ob es die richtige Beschreibung ist, aber so empfinde ich es. Vieleicht kann ich es so ausgedrücken: die "Dosis", die ich brauche ist immer größer geworden.

Auch danach, wieder in der männlichen Rolle, spüre ich dann zwar noch die Entspannung, aber anders als früher fällt mir der Weg zurück immer schwerer. Denn in letzter Zeit stellt sich nach dem Ausziehen und Abschminken abends, so eine Art von Enttäuschung ein, wenn mir der "duselige Kerl" wieder aus dem Spiegel entgegenschaut.

 

Aber ...

Jetzt kommt das große "Aber": Eine innere Angst hält mich bisher noch zurück, wirklich auch den wichtigen Schritt in die richtige Richtung zu tun. Und das entgegen dem Wunsch des Herzens, denn das möchte endlich auch nach außen hin die Frau sein, die es innerlich schon lange ist. Der Verstand sagt aber, daß das so noch nicht geht. Zumindest jetzt noch nicht. Trotzdem, ich weiß endlich was ich bin. Das hat mich schon enorm weiter gebracht, auch wenn noch viel vor mir liegt.

Um mir etwas Zeit zu verschaffen habe ich die Uhr angehalten – anhalten müssen, was gar nicht so einfach war. Irgendwie habe ich es aber hinbekommen. Das "Was, Wie und Warum" will ich im folgenden beschreiben.

 

Was, Wie, Warum

Über mich, die Angst, mein Herz und über vieles mehr hatte ich vor einiger Zeit (Oktober 2008) mit einer Freundin (Danke Dir Susanne für die Zeit) gesprochen. Sie ist etwas älter als ich und seit einigen Monaten "auf dem Weg". Als wir uns im Frühjahr 2008 das erste Mal getroffen haben, haben wir relativ schnell ("gleiche Wellenlänge") erkannt, daß wir einen ähnlichen weiblichen Lebenslauf haben: beide haben wir unser "Geheimnis" jahrelang mit uns herumgetragen und beide haben wir relativ spät das weibliche Wesen in uns endlich herausgelassen und beide haben wir nach dem "ersten Mal" lange Zeit gebraucht um zu der richtigen Erkenntnis zu kommen.

Um meine Angst zu ergründen hat mir Susanne einen Rat weitergeben, den sie von Ihrer Psychologin in ähnlicher Situation bekommen hat: "Geh' tief in Dich und betrachte Deine Beziehung zwischen Dir und Deiner Umgebung - privat als auch im Beruf. Nur Du selbst kannst das. Und Du wirst mit der Zeit Antworten finden, das wird aber etwas dauern." Ich hatte dies erst als "Mumpitz"  abgetan, trotzdem gingen mir die Gedanken daran nicht aus dem Kopf. Und tatsächlich, nach etlichen Wochen zeichnete sich ein Ergebnis ab.

Ich habe mal versucht zu ordnen und zu beschreiben, was ich in mir "ausgebuddelt" habe.

 

Ich selbst

Fange ich mal beim leichtesten (oder doch beim schwersten ?) an – bei mir selbst.

In männlicher Rolle paßt mir vieles an mir nicht, besonders Bart- und Haarwuchs machen mir Probleme. Aber da bin ich bereits in guten Händen: ich bin regelmässig in einem Epilationsinstitut in Behandlung, um dem Bartwuchs den Garaus zu machen, denn es gibt nichts hässlicheres und störenderes als Stoppeln und Bartschatten im Gesicht. Das das besondere männliche Merkmal über ist, muß und will ich hier nicht näher erläutern.

Schlecht sind auch die Phasen, wo ich mal richtig schlecht drauf bin. (... weil ich mir da selbst auf die Nerven gehe und mit mir selbst unzufrieden bin ...). Das kommt hin und wieder meist dann vor, wenn ich mal nicht wie vorgenommen Claudia sein konnte. Dann habe ich auch beruflich Probleme, alles "auf die Reihe" zu bekommen. Ein Kollege sprach mich darauf mal direkt an, ("Was is'n mit Dir heute los?") aber was sollte ich anderes machen als gute Miene und sagen "Ach, ich hab die Nacht  mal wieder schlecht geschlafen". Da ich derzeit beruflich an einem großen Projekt arbeite, "hilft" mir der Stress, vieles davon "wegzudrücken".
Kleide ich mich dann wieder als Frau, merke ich relativ schnell, das ich innerlich auch ruhiger werde. Ich fühle mich dann wohl und bin ausgeglichen(er). Es ist dann alles in Ordnung und ich fühle mich irgendwie "da" und "zu Hause".

Angst ? Vor mir selbst habe ich keine Angst.  Ich meine, als Frau gehe ich selbstverständlich in die Öffentlichkeit, in Restaurants und Geschäfte, fahre Bus und Bahn etc. Was mir nur "weh tut" ist, wenn man mal von einer Gruppe "halbstarker Idioten" - vorsichtig ausgedrückt - als "falsche Frau" erkannt wird (an was auch immer) und die dann ihre derben Sprüche möglichst lautstark verbreiten. Angst habe ich da zwar keine, es kränkt aber.

 

Privater Bereich

Im privaten Umfeld bei meinen Eltern bin ich seit Pfingsten 2006 geoutet. Mein Bruder und seine Frau wissen seit Ende Januar 2008 Bescheid . Outen muß ich mich "nur" noch bei der Verwandschaft und der Nachbarschaft. Das Outing vor der Verwandschaft sehe ich nicht als Problem. Auch mit der Nachbarschaft sehe ich "fast" keine Probleme da ich mit vielen bis auf ein "Guten Tag" nichts zu tun habe.

Da ich damals beim Outing bei meinen Eltern diese tiefgehenden Gefühle als Frau noch nicht hatte, muß ich mich meinen Eltern gegenüber erneut outen und ihnen beibringen, das aus ihrem Sohn endgültig eine Tochter wird. Ich hoffe hier nur, daß meine Mutter diesmal nicht wieder so heftig reagiert wie Pfingsten 2006. Verstehen könnte ich sie. So heftig wie damals wird es aber wohl nicht mehr werden (hoffe ich jedenfalls), denn wenn sie mich jetzt als "Claudia" sieht, spricht sie mich sogar als "Claudi" an.

Beim Outing bei meinem Bruder und seiner Frau habe ich die Frage "Wie geht das mit Dir weiter ?" irgendwie intuitiv schon mit "Du kannst davon ausgehen, das ich meinen 50. Geburtstag als Mann nicht mehr erleben werde" beantwortet. Man weiß also, was passieren wird. Ferner mache ich mir Gedanken, wie man meinen beiden Neffen (6 und 3 Jahre) beibringen kann, das ihr (Paten-)Onkel dann "Tante Claudia" ist.

Die weitere Verwandschaft wird mich als Frau akzeptieren müssen. Da muß ich mir auch keine Gedanken 'drum machen. Wem's nicht passt, nicht mein Problem - Verwandschaft kann man sich eben nicht aussuchen.

Auch beim Outing bei den Nachbarn sehe ich keine Probleme, da ich mit den wenigsten direkt zu tun habe. Die eine ältere Nachbarin kennt mich schon viele Jahre (seit ich 6 war) und durch Zufall sogar schon als Claudia. Sie findet das von mir eine gute, aber auch mutige Entscheidung. "Tue das, was für Dich richtig ist" hat sie mir damals gesagt, denn für sie ist dieses Thema nichts Neues und schon gar nichts ungewöhnliches. Beim Gespräch mit ihr hat sie mir erzählt, das vor vielen Jahren ihr Sohn auch mal Gedanken der Art "Bin ich Mann oder Frau ?" hatte, und sie mich daher gut verstehen könne.

 

Berufliche Umgebung

Den allergrößten Anteil an der Angst hat das berufliche Umfeld. Aber das liegt wohl an meiner speziellen Situation.

Ich bin in einer Einrichtung des öffentlichen Dienstes im EDV-Bereich tätig. Dort habe ich neben den direkten Kolleginnen und Kollegen meiner Abteilung viel mit Kolleginnen und Kollegen fast aller Bereiche unserer Einrichtung zu tun. Kurz gesagt, ich bin dort bekannt "wie ein bunter Hund". Daneben habe ich auch mit Kunden zu tun, denen ich fachspezifische Fragen beantworte und Hilfestellung gebe.

Neben dem Betrieb der eigenen EDV ist unsere Einrichtung auch an Kooperationenen mit anderen Organisationen und Einrichtungen beteiligt, für die wir als Dienstleister tätig sind. Auch hier ist "Herr K" in vielen Situationen der Ansprechpartner.

Ich habe in meinem Bereich auch mit Vertretern, Technikern und Monteuren von Firmen zu tun, bei denen wir, teils seit vielen Jahren, die technische Infrastruktur und die Geräte für den EDV-Betrieb beschaffen und die Wartung abwickeln. Auch hier bin ich als als Ansprechpartner benannt. Viele der Techniker und Vertreter kennen mich seit mehr als 10 Jahren.

Ferner gehört auch zu meiner Arbeit, das ich regelmässig mehrmals im Jahr an Treffen, Konferenzen und Tagungen mit Kolleginnen und Kollegen von Partner-Einrichtungen aus ganz Deutschland teilnehme.

 

Fragen über Fragen

Aus beiden Bereichen des Umfeldes ergeben sich Fragen. Ganz besonders aus dem beruflichen Umfeld stellen sich viele Fragen, die mir noch Angst machen und mir den nächsten Schritt noch verhindern. Die wichtigsten:

  • Wie ragiert mein Chef und wie die direkten Kolleginnen und Kollegen in der Abteilung ?

  • Wie reagiert die Geschäftsleitung ?

  • Wie reagieren die weiteren Kolleginnen und Kollegen der Einrichtung ?

  • Werde ich mein Aufgabenfeld behalten oder werde ich versetzt ? ("... jeder ist ersetzbar!" oder "Für den Kundenkontakt ist "so einer wie Sie" nicht geeignet".)

  • Auch wenn ich als Angestellte(r) im öffentlichen Dienst einen unbefristeteten Arbeitsplatz habe, kann man mir diesen dann so unattraktiv wie möglich (Entzug von Verantwortung etc. bis zu Mobbing) machen, damit ich von mir aus kündige oder ich mich von mir aus versetzen lasse.

Vor den letzten beiden Punkten habe ich die meiste Angst, haben doch nicht gerade wenige auf diese Weise ihren Arbeitsplatz verloren. Mut macht wieder, das ich von zwei Freundinnen weiß, deren berufliches Outing sehr gut geklappt und von den Kolleginnen und Kollegen akzeptiert wurde.

Aber es stellen sich noch weitere Fragen

  • Wie erkläre ich den Kunden, Vertretern, Technikern und Kooperationspartnern das sie es in Zukunft nicht mehr mit "Herrn K" sondern mit "Frau K" zu tun haben ?

  • Werde ich dann noch genauso kompetent angesehen, wie ich es heute bin ? (... Wer "so" ist, dem traut man auch keine fachliche Kompetenz (mehr) zu ...)

Währe es nur das private Umfeld, würde ich mir keine Gedanken machen und sofort sagen können "Ja, ich mache den nächsten Schritt". Aber die Fragen im Zusammenhang mit meinem beruflichen Umfeld und dort besonders, die Angst um den Arbeitsplatz, wiegen so schwer, das der Verstand und die Vernunft sagt "Herz was Du da willst, das geht so einfach aber nicht !" Dagegen sind die Punkte, die Familie, Verwandte, Bekannte und Nachbarn betreffen nur "Kleinkram".

 

Fazit

Das anhalten der Uhr hat wirklich geklappt und ich konnte mir über vieles Klarheit verschaffen. Das Herz will und muß endlich das sein, was es ist – und ich muß die Uhr wieder weiterlaufen lassen, sonst wird der innere Druck wieder zu stark. Ich denke, das ich den "Rest" mit der Zeit auch noch hinbekomme.


Nachtrag

Januar 2009

Über dieses gesamte Thema konnte ich bei unserem Dezember-Stammtisch in Wolfsburg mit Kim (Danke, das ich Dich mit meinen Fragen und Problemen löchern durfte) reden.

Vieles sehe ich wohl viel zu eng und ich sehe Probleme wo keine sind, soviel ist mir inzwischen klar geworden. Wie sagt man so schön: "Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird." Mittlerweile sehe ich vieles schon wesentlich "weicher".

Ich werde mich demnächst zu einem Termin bei einer Psychologin anmelden (Wartezeit ...) und um ein Gespräch mit der Gleichstellungsbeaufttagten unserer Einrichtung bitten, um dort mal "vorzufühlen", wie man meine "Probleme" dort sieht und wie ich das berufliche Outing gestalten kann. Dann wird das zweite Outing bei meinen Eltern folgen müssen ...

 

März 2009

Am 22. März habe ich mich meinen Eltern das zweite Mal geoutet.

Einen Termin bei einer Psychologin habe ich bestellt. Ich stehe in der Warteliste. Voraussichtlich Mitte/Ende Juni erfahre ich, wann ich den ersten Termin haben werde.

 

Februar 2010

Inzwischen bin ich am Arbeitsplatz geoutet. Am 22. Januar 2010 war mein erster Arbeitstag als Frau.
Im Kapitel "Berufliches Outing" habe ich beschrieben, wie dies bei mir abgelaufen ist.


zurück zu Über mich  

 

   
© Claudia K.